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Aktuelle Forschungen

Richtstättenkatalog Brandenburg

Forschungsthema, Inhalt und Relevanz

Im vergangenen Jahrzehnt sind durch die Richtstättenarchäologie beachtliche Fortschritte in der Erforschung eines Kulturdenkmals erzielt worden, das im öffentlichen Bewusstsein zunehmend in den Vordergrund tritt. Nach wie vor besteht jedoch ein auffälliges Missverhältnis zwischen den wenigen archäologisch fassbaren Überresten und der Vielzahl historisch bekannter Richtstätten.
Für die Epoche der Frühen Neuzeit liegt umfangreiches Bildquellenmaterial vor, da Motive von spektakulären Hinrichtungen ein beliebtes Thema von Flugschriften waren, die über Druckereien vervielfältigt wurden und entsprechend eine weite Verbreitung fanden.

Hier setzt das geplante Vorhaben für Brandenburg an. Durch eine systematische Aufbereitung und Auswertung historischer kartographischer Bildquellen aus Brandenburg können Erkenntnisse zu Standort, Form, Lage und Datierung der Hochgerichte gewonnen werden. Da schon erhebliches archivarisches Quellenmaterial zu Scharfrichtern in Brandenburg transkribiert wurde, lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse zur näheren Datierung einer Richtstätte miteinander abgleichen.
In einem nächsten Schritt sollen diese Plätze der Hochgerichtsbarkeit archäologisch erfasst werden. Gezielte Sondierungsgrabungen dienen dabei dem tatsächlichen Nachweis einer justiziablen Nutzung im Rahmen des mittelalterlichen bzw. neuzeitlichen Strafrechts. Dabei wird das Bodendenkmal lediglich nachgewiesen, nicht vollständig ausgegraben.
Ziel des Vorhabens ist die Erstellung eines Richtstättenkatalogs, der für Brandenburg eine vollständige Übersicht über alle im Gelände belegbaren historischen Stätten der Strafgerichtsbarkeit bietet.

Ablauf

Das Projekt wird an verschiedenen Universitäten des Landes Brandenburg (EUV Frankfurt/O, Universität Potsdam –in Planung) sowie gemeinsam mit Gastuniversitäten (TU Dresden) umgesetzt. Zeitweise sind die Studenten des Winckelmann Institutes an der Humboldt-Universität zu Berlin in das Vorhaben involviert.
Geplant ist, in jedem Jahr eine Forschungsgrabung auf einem Richtplatz im Land Brandenburg als Lehrgrabung mit den Studenten der Universitäten durchzuführen.
Im Vorfeld ist dafür die Teilnahme der Studenten an den Winter- und Sommerseminaren zur Strafrechtsgeschichte sowie zur Richtstättenarchäologie, die ich an den Universitäten durchführe, notwendig. Dabei wird zudem die regionale Quellenlage zur jeweiligen Richtstätte archivarisch aufgearbeitet, so dass zu Beginn einer jeden Grabung der historische Background bereits bekannt ist.

Richtstätten in der Neumark

Gewalt im archäologischen Befund – verschwundene Erinnerung?
Erinnerungsorte unter der Erde und das Bewahren eines vergessenen Kulturerbes

Gewalt ist ein stetiger Begleiter der menschlichen Geschichte. Sie manifestiert sich in mündlichen, schriftlichen und künstlerischen Darstellungen und entgeht so ihrem Vergessen. Doch was passiert dort, wo die nationale Identität wechselt? Wo Regionen geteilt werden, die Bevölkerung wechselt und die Erinnerung an die einstige Gewalt mit den ehemaligen Bewohnern in Vergessenheit gerät?

Die lange Phase deutscher Besiedlung in der Neumark (heutiges Polen) fand mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ihren Abschluss. Die Deutschen wurden weitestgehend auf die Siedlungsgebiete westlich der Oder zurückgedrängt. Sie hinterließen in der langen Zeit ihrer Siedlungskontinuität in der Neumark Stätten der Gerichtsbarkeit, die eng mit ihrer Kultur verbunden sind.

Leitidee des Forschungsprojektes ist es, eine gemeinsame Erinnerungskultur an jene Orten justiziabler Gewalt zu schaffen. Mit der wissenschaftlichen Dokumentation und Aufarbeitung sollen die Richtstätten in das Bewusstsein der dort heute lebenden Bevölkerung gebracht und zugleich vor der Zerstörung gerettet werden.
Die Reflexion dieser historischen Ereignisse, verstanden als integraler Bestandteil der Erinnerungskultur einer heute dort lebenden modernen Gemeinschaft, ist für die Bildung einer gemeinschaftlichen kollektiven Erinnerungsgesellschaft unabdingbar. Zudem werden die archäologischen Plätze durch das Forschungsprojekt dokumentiert und gesichert und mit ihren Ergebnissen den polnischen Denkmalpflegeämtern übergeben. Aufgrund der neu geschaffenen Informationslage über die historischen Ereignisse in ihren Bezirken können diese auf dieser Grundlage für den nötigen Schutz der Galgenberge und Richtstätten sorgen, indem sie langfristig nachhaltig das Bodendenkmal betreuen.